Konzeption

Kommission zu Sprachkontakt
beim Internationalen Slavistenkongreß

Die Arbeit der Kommission sollte sich an zwei übergeordneten Zielen ausrichten:

1. Traditionellere Arten der Sprachkontaktforschung sollten durch Verfahren der Variationslinguistik nicht nur ergänzt, sondern auch für diese nutzbar gemacht werden, so daß es für beide zu einem fruchtbaren Austausch kommt.

Variationslinguistische Verfahren zielen vor allem auf die Objektivierung qualitativ gewonnener Erkenntnisse durch quantifizierende Methoden ab. Solche Methoden haben mittlerweile in allen Bereichen, die für Kontaktlinguistik relevant sind, Fuß gefaßt und werden auch immer mehr in der universitären Ausbildung verankert. Die neben der Korpuslinguistik primär relevanten Bereiche sind

  • Soziolinguistik Labov’scher Prägung.
  • Dialektgeographie und Dialektometrie.
  • Areallinguistik (auch in bezug auf eher kleinere Areale).

2. Slavische Varietäten sollten nicht in Isolation betrachtet werden, und zwar weder im Sinne von Objekten wissenschaftlicher Forschung noch im Sinne der Methoden (im Einklang mit Punkt 1). Die Erforschung slavischer Varietäten sollte der Erforschung der Varietätenvielfalt anderer Sprachgruppen (germanische, romanische) nicht nachstehen, sondern sie kann auch für sie wichtige Akzente setzen und eine Vorreiterrolle spielen.

Als Forschungsobjekte bieten slavische Nichtstandard-Varietäten (Dialekte, Soziolekte, exogene und endogene Minderheitensprachen etc.) eine Fülle an bisher schlecht erschlossenen Ressourcen für die Untersuchung des Sprachkontakts sowohl innerhalb der slavischen Sprachlandschaft als auch im Kontakt mit nichtslavischen Varietäten. Dazu kommt, daß Kontakte unter Beteiligung slavischer Varietäten nicht nur auf diatopischer, sondern auch auf diastratischer Ebene (im Sinne Coserius) eine Menge an Untersuchungsgegenständen bieten, die nicht nur für die Dokumentation und Beschreibung verschiedener Kontaktsituationen aus sozio- und systemlinguistischer Sicht wichtig sind, sondern vor allem auch für die Theoriebildung des Sprachwandels genutzt werden können und sollten.

Im Sinne der Methoden sind insbesondere für variationslinguistische Ansätze Korpora und ähnliche Datenbasen unabdingbar, so daß in der Kommissionsarbeit die Erstellung und Vervollkommnung solcher Datenbasen eine der prioritären Aufgaben sein sollte (vgl. dazu bereits das Netzwerk SpoSla: http://parasolcorpus.org/Spoken-Slavic/). Die Bereitstellung solcher Ressourcen steht nicht zuletzt unter dem Vorzeichen der Nachhaltigkeit ihrer Nutzung, welche der Vergleichbarkeit und objektivierbaren Überprüfung dienen und zudem flexibel in Hinsicht auf verschiedenartige Forschungsfragen sein sollte.

Beide Ziele sollten einer Isolation slavistischer Forschung entgegenwirken. Mit diesen Zielen werden Methoden und Ziele der qualitativen Erforschung einzelner kontaktlinguistischer Situationen – gleich ob in eher soziolinguistischer oder dialektologischer Sichtweise – nicht annulliert oder in ihrer Bedeutung geschmälert. Jedoch benötigt die slavistische Forschung nicht zuletzt in der Sprachwissenschaft eine solide Grundlage, um nicht nur an allgemeine empirische linguistische Forschung anzuschließen, sondern diese auch mitzugestalten. Ferner werden qualitative Methoden für übergreifende Fragestellungen (z.B. Phänomene des Sprachwandels und der Rolle des Sprachkontakts in diesen, Gründe und Vorgänge der Konvergenz und Divergenz in klarer abgegrenzten Kontaktgebieten und kleineren Arealen) nutzbar gemacht und können als wertvoller Input für übergreifende variationslinguistische Verfahren dienen. Eine wesentliche Voraussetzung ist freilich – neben der Bereitschaft zur Anwendung solcher Verfahren – Unterstützung bei der Bereitstellung nachhaltiger Korpora und Datenbasen. Als eine Grundlage für deren Austausch könnten vor allem Creative Commons Licenses dienen (https://en.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons_license).

            Die Zusammenstellung der Kommission sollte sich folgerichtig um eine ausgewogene Mischung  bemühen, bei welcher die folgenden Kriterien Berücksichtigung finden:

  • variationslinguistische – qualitative („traditionellere“) Methoden;
  • Repräsentation der Bandbreite gegenwärtiger und historischer Sprachkontaktsituationen unter Beteiligung slavischer Varietäten (sowohl innerslavische wie auch slavisch-nichtslavische Kontaktsituationen);
  • Kompetenz im Aufbau und Ausbau von Korpora (vornehmlich gesprochen und im Nichtstandardbereich) und von Repositorien zwecks des nachhaltigen Austausches von Primärdaten und von Tools zu deren Bearbeitung.

Björn Wiemer (Vorsitzende), Johannes-Gutenberg-Universität, Institut für Slavistik, Turkologie und zirkumbaltische Studien (Abt. Slavistik) – wiemerb@uni-mainz.de

Mainz, 27. Dezember 2017

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